Schafschur im Agriturismo Canu

7 Uhr an einem sonnigen Morgen im Mai, Nordsardinien, im Herzen der Gallura. 5 km außerhalb des kleinen Bergdörfchens Luogosanto auf fast 400 Höhenmetern.

Zweihundert Hektar Land gehören zum Anwesen. GrĂŒne Weiden, sanfte HĂŒgel mit Macchia und wilden OlivenbĂ€umen bewachsen, es duftet nach FrĂŒhlingskrĂ€utern, Minze und Wacholder. Der Lago Liscia schimmert im Tal in der Morgensonne und in der Ferne die Bergspitzen des Monte Limbara dessen Antennen in der Morgensonne rötlich glitzern.

Schafschur in der Gallura

Es riecht nach Land, nach Schaf – denn rund vierhundert blökende Damen und einige Herren wurden in den frĂŒhen Morgenstunden zusammengetrieben und warten darauf, dass ihnen die Wollpracht fĂŒr die zu erwartende Sommerhitze von den Leibern geschoren wird. Es ist leicht bewölkt, aber warm, kein Wind und kein Regen. Das ist gut, nein ideal denn ansonsten hĂ€tte die ganze Schafschur wieder verschoben werden mĂŒssen, wie schon zwei mal in diesem fĂŒr Sardinien kalten Mai.

Zum Einsatz bereit: Die Schafscherer – zwanzig krĂ€ftige schwarzĂ€ugige sardische Herren, aus allen Inselteilen sind sie nach Luogosanto gereist. Die Modernen ausgestattet mit Schermaschinen. Die Traditionellen arbeiten noch von Hand, mit altertĂŒmlich anmutenden, frisch geschliffenen großen Scheren. Auch fĂŒnfzehn Helfer haben sich eingefunden. Ihre Aufgabe die Tiere aus der Herde herausholen, zur Schur vorbereiten und die abgeschorene Wolle zusammensammeln.

Los geht’s

Zuerst sind die rund hundert LĂ€mmer und LĂ€mmchen an der Reihe. Sie blöken verzweifelt nach ihren Mamis. Doch muskulöse Arme greifen sie greifen sie und holen sie aus der Herde. Dann werden die Beine im Handumdrehen verschnĂŒrt und das bewegungsunfĂ€hige kleine Schafpaket wartet nun doch ziemlich relaxt auf die Dinge die da kommen, bis es an der Reihe ist.

Antonello, der Chef des Hauses Canu erklĂ€rt mir, dass die Schafschur in der Gallura eigentlich keine Tradition hat und auch die Betriebe, die so viele Schafe halten sind im Norden Sardiniens ziemlich selten. Drei oder vier Betriebe werden es sein, schĂ€tzt Antonello.     In der Gallura wurden traditionell eher Felder bestellt, Rinder und vereinzelt auch Ziegen gehalten. Antonello's Familie kam Mitte der 60er Jahre aus dem Inselherzen, der Barbagia aus Fonni mit all ihren Schafen in die Gallura um sich hier einer neuen Art des Tourismus zu widmen, dem Agriturismo. Ferien auf dem Bauernhof und vom Land auf den Tisch. Auf dem Hof in einfachen GĂ€stezimmern Übernachten und mit hauseigenen Produkten wie Fleisch, GemĂŒse, Wein und vielen ausgemachten SpezialitĂ€ten sollen die GĂ€ste bei ihrem Aufenthalt versorgt werden.

Die meisten Helfer die heute zur Schafschur angereist sind sind Freunde und gute Bekannte. „Alleine kann das von uns keiner mehr schaffen“, sagt Antonello, „bezahlen könnten wir die Arbeiter nicht“. Ohne Nachbarschaftshilfe geht da nichts, heute hier, morgen in Olbia und am nĂ€chsten Wochenende reist man woanders hin. „Das ist eigentlich ganz normal auf Sardinien und besonders in der Barbagia“, erzĂ€hlt er stolz auch wenn einige dafĂŒr viele Stunde Fahrtzeit in Kauf nehmen mĂŒssen.
Er freut sich auch, dass heute so viele Touristen und GĂ€ste gekommen sind um sich die Schafschur anzusehen. Wer mag, kann gerne helfen aber kaum einer traut sich. Einer der Zuschauer sagt mir: „schau Dir nur die muskulösen Unterarme von den Schafscherern an, da kann ich als Stadtmensch nicht mithalten, geschweige denn ein 45 Kilo schweres Schaf anheben, festhalten und verschnĂŒren.“ Er schmunzelt.

Schafschur ist Schwerstarbeit

Ja, das sieht wirklich nach harter Arbeit aus. Es ist mittlerweile kurz nach Elf. Schafscherern und Helfern steht der Schweiß auf der Stirn. Wasser, Bier und Wein machen die Runde. FĂŒr die Versorgung der Schafscherer ist Antonello’s Familie zustĂ€ndig.

Die Schafscherer stehen in gebĂŒckter Haltung ĂŒber den Schafen. Schweiß tropft von Scherer’s Nase auf das Schaf. Das Tier wird auf den RĂŒcken gelegt und zwischen den Beinen des Scherers eingeklemmt und festgehalten. Die Schermaschine am Oberarm des Tieres angesetzt und bis zum Hinterlauf in einem Schnitt durchgeschoren. So geht das bis zum oberen RĂŒcken. Dann wird das Schaf umgedreht und die Prozedur geht von vorne los. Am Schluß werden Schwanz und Kopf freigelegt. Rund vier Minuten braucht der Scherer fĂŒr ein Tier, zĂ€hle ich mit. Die Sommerfrisur ist fertig, das Schaf wird von seinen Fußfesseln befreit und springt mit großen SĂ€tzen und scheinbar freudig blökend der restlichen Herde entgegen.

Antonello zeigt jetzt einigen Besucher-Kindern ein kleines Lamm auf dem Arm und wie ein Schaf von Hand gemolken wird. Das stehende Schaf wird zwischen den Beinen festgeklemmt und mit schnellen Griffen wird gemolken. Nun können alle probieren. Ein Becher mit frisch gemolkener Milch wird bei den Besuchern herumgereicht. Alle sind begeistert und sehr ĂŒberrascht, dass die Milch so gut und gar nicht nach Schaf schmeckt.

Fertig

Um 13.30 Uhr ist die Arbeit dann getan. Die Schafe können, nun um rund vier Kilo warmer Wolle erleichtert, den heißen Sommermonaten entgegensehen.
Scherer und Helfer waschen sich an den WasserschlĂ€uchen am Stall Schweiß und Schafduft von den Körpern. Die Kleidung wird gewechselt.
Die Frauen des Agriturismo Canu haben gemeinsam mit Freundinnen und Freunden, das Highlight des Tages, das gemeinsame Mittagessen vorbereitet. Es wird zum Essen gerufen und alle strömen herbei – rund hundert Leute im Saal, Stimmengewirr, spielende Kinder und der Duft von vielen Köstlichkeiten verbreitet sich.

Typische Gerichte der Schafschur werden aufgetischt: Antipasti (Vorspeisen) – hausgemachte WurstspezialitĂ€ten, Schinken, Salsiccia und alle PecorinoKĂ€sesorten der Azienda, Oliven und Eingelegtes. Dann riesige SchĂŒsseln mit Cozze und Bocconi (Muscheln und Meeresschnecken), in Weißwein gekocht, gedĂŒnstet, gesotten. Die Primi (erste Hauptspeise) folgen, die Zuppa Gallurese und eine Brotlasagne, die Antonellos Mamma in Fonni schon vorbereitet hat.
Es wird geschwĂ€cht, die meisten sind jetzt schon fast satt. Aber es werden die nĂ€chsten SchĂŒsseln in den Saal getragen. Die zweite Hauptspeise, die Secondi. Duftendes Spanferkel frisch gegrillt und die Pecora in Capotto, gekochtes Schaf mit Kartoffeln und Zwiebeln. Das Schaf hat Antonello’s Vater, nach barbaricinischer Art vorbereitet und stundenlang in einem riesigen Topf ĂŒber dem offenen Feuer gekocht. Vorsichtig greife ich zu, denn mein deutscher Gaumen kann sich mit dem Gedanken gekochtes Schaf zu verkosten sehr sehr skeptisch. Doch dann die große Überraschung, denn das Schaf schmeckt nicht wirklich nach Schaf, sondern wirklich fein, wĂŒrzig und nur ein klein wenig Schafig. Und so genehmige ich mir noch eine weitere Portion, obwohl ich noch vor wenigen Minuten halbherzig beschlossen hatte, jetzt endlich mit dem Essen aufzuhören. Aber ich kann mich nicht herauswinden, das geht hier nicht. Es ist alles so lecker und wirklich gefragt werde ich auch nicht. Es wird aufgetischt und Frau muß wenigstens so tun als wenn sie weiter ißt, sonst wĂ€ren die Gastgeber beleidigt.

Geschafft sitze ich am Tisch und nicht nur ich. Im Saal kehrt TrĂ€gheit ein, Hemden und GĂŒrtel werden dezent geöffnet, einige verlassen ihre PlĂ€tze und entwinden sich nach draußen. Durchatmen und ein klein wenig Bewegung tun jetzt ungemein gut. Allen ist anzusehen, dass sie wirklich pappsatt sind. Doch es ist noch nicht vorbei, die Nachspeisen (Dolci) folgen. Sardischer Kuchen, KĂŒchlein und Kekse in allen möglichen Farben, Formen und Macharten, Obst und hausgemachte Seadas, eine ausgebackene Teigtasche gefĂŒllt mit KĂ€se, finden sich jetzt auf meinem Teller ein.

Doch dann endlich, hausgemachte Likeure und Kaffee werden in den Saal getragen. Nach vier Stunden ist das Ende absehbar und ich hoffe, dass ich dieses wahrlich oppulente Mahl irgendwann an diesem Abend auch noch verdauen werde. Um 18 Uhr dann, nach vielen GesprÀchen und interessanten Geschichten rund um Schafscherer und Sardinienfans, versuche ich mich in Richtung Heimat davonzumachen. Doch noch mehr als eine Stunde brauche ich, um mich von allen zu verabschieden, hier noch einen Mirto, da noch ein kleiner Schwatz und als ich dann endlich an meinem Auto stehe, weis ich: Das war ein toller Tag, eine schöne neue Erfahrung und im nÀchsten Jahr bin ich wieder dabei.

In eigener Sache: 2021 begleite ich wieder eine kleine Gruppe deutschsprachiger Touristen zum Schafschurfest. Termin gebe ich möglichst frĂŒhzeitig bekannt. Wer teilnehmen möchte, kann mir gerne eine Mail schicken.

Agriturismo Canu
Loc. Canu
I-07020 Luogosanto

http://www.agriturismo-canu.com

Von Arzachena kommend Richtung Luogosanto. Ca. 5 km vor Luogosanto ist der Agriturismo links ausgeschildert. Erst eine kleine Asphaltstraße, die dann Schotterstraße wird. Der Agriturismo bietet wunderbare typische Abendessen mit hausgemachten SpezialitĂ€ten, KĂ€severkauf, Mittagessen fĂŒr Gruppen auf Anfrage. Drei einfache GĂ€stezimmer, alle mit eigenem Bad und Dusche. Relaxen in lĂ€ndlicher AtmoshĂ€re.

Verkaufsstelle fĂŒr KĂ€se:

Pastores
di Pino e Daniela
Loc. Tiana Arzachena
I-07020 Arzachena (OT)
von Mai bis Ende Oktober
via Google Maps Anreise

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2 Gedanken zu “Schafschur im Agriturismo Canu

  1. Petra Graichen

    Buonasera, wir sind daran interessiert an einer Schafsschur teilzunehmen. Wir sind unter untengenannter Email Adresse erreichbar. Wir freuen uns auf eine Antwort. Viele GrĂŒĂŸe Petra Graichen

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