Oktober 2019 – Die Saison ist rum und Pilgern steht auf dem Programm. Mein erster Pilgerweg ist erwählt: Camino Frances der Jakobsweg von Saint-Jean-Pied-de-Port an der französischen Grenze, nach Santiago di Compostela. Es war eine Hardcore Erfahrung für mich, meinen Körper und ganz besonders und meine armen Füsse. Ich die hochzeitplanende Schlappi-Frau, zu Fuß durch Nordspanien auf den Spuren des Heiligen Jacobus.
Hört sich blöd an aber der Weg hatte mich persönlich gerufen, immer wieder mal, lange Jahre. Daran hatte ich keine Zweifel. Und im Sommer 2019, hat er praktisch nach mir geschrien. Gute Zeiten mit meinen Hochzeitspaaren aber privat lief alles ziemlich aus dem Ruder. Ein Cut mußte sein, zur Ruhe kommen, Zeit nur für mich, zum nachdenken, grübeln und um wieder nach Vorne blicken zu können. Im Oktober 2019 war es dann so weit, ich habe mich auf den Weg der Wege gemacht.
Zu Fuß von Sardinien, mit Pilgerpass und viel zu viel Zeugs in einem 13,5 kg schweren Rucksack. Sardinia to Santiago – von Sardinien nach Santiago de Compostela. Und nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln, kein Flieger für mich, grüner Fußabdruck und so.
Gefreut, gelacht, geheult, geflucht – aber nach meinen Kindern, das tollste Abenteuer meines Lebens. Der Weg meines Lebens. ¡Buen Camino! 👣

Knapp 1.000 km – der Camino Frances. Die nette Karte gibt es bei Ideas Peregrinas – online
Camino Frances 2019 👣👣
Mein Abenteuer beginnt am 21. Oktober, ich und mein roter Rucksack nehmen die Nachtfähre um 22.00 Uhr von Porto Torres nach Genua. Ankunft dort, früh am nächsten Morgen und direkt weiter mit dem Zug die Küste entlang nach Nizza. Der nächste Umstieg am Bahnhof dort in den Nachtbus nach Bordeaux, wo ich mit dem Sonnenaufgang eintreffe.
Um 9 Uhr geht’s weiter, der nächste Zug nach Gare de Bayonne und nun fahre ich für zwei Stunden durch nordfranzösischen Küstennebel. Leider, denn gerne hätte ich die Landschaft gesehen. Aber irgendwie spiegelt der Nebel den Zustand in meinem Kopf. Auch Bayonne liegt in dickem Nebel, die geplante Mittagspause dort erspare ich mir und nehme sofort den kleinen Bummelzug zum Tagesziel und dem Startpunkt meines Jakobsweges, Saint-Jean-Pied-de-Port, in den französischen Pyrenäen im wilden Baskenland. Mehr über Saint-Jean-Pied-de-Port bei Wikipedia
Saint-Jean-Pied-de-Port
Schon die Fahrt mit dem Bummelzug nach Saint-Jean entführt mich in eine andere Welt. Die wissen warum sie im Zug große Panoramafenster eingebaut haben, denn die Landschaft ist umwerfend schön. Der Nebel verschwindet und stets entlang an einem kleinen glasklaren Fluss, tauche ich ein in diese saftig-grüne Berg– und Hügellandschaft. Wie in einem Märchen empfinde ich dieses Grün, so ganz der Gegensatz zum vertrocknet gelben Sardinien, nach einem langen heißen Sommer.
Im Zug sind nun endlich auch die ersten anderen Pilger zu sehen. Ich bin wohl der einzige Jakobsweg-Newbie, denn die Gesprächsfetzen die ich mitbekomme handeln von vergangen, gelaufenen Jakobswegen. Ich enthalte mich und bestaune weiter diese Traumlandschaft.
Vom Bahnhof in Saint-Jean angekommen folge ich den Profi-Pilgern in den mittelalterlichen Dorfkern, dort habe ich bei Esteban in seinem alten Fachwerkhaus mein schnuckeliges Zimmer mit Prinzessinenbett für die Nacht reserviert. Es ist Mittag, ich habe Hunger und so kehre ich vorher noch im erst Restaurant auf dem Weg dorthin ein. Und hier gibt es dann mein erstes echtes (extrem köstliches) Pilgermenü für 12,– Euro inklusive Getränke. Feine Sache. Es ist der 23.10.2019 – morgen gehts los.
Saint-Jean ist ein sehr sehr niedliches Dorf und absolut einen Besuch wert, gleiches gilt für mein Zimmer bei Esteban. Sein Haus liegt direkt am Jakobsweg und mein Zimmer hat Ausblick auf den Pilgerkrimskramsladen direkt gegenüber, wo ich mir auch den meinen (obligatorischen) Pilgerstock besorge. Das muß sein.
Am Nachmittag steht der Besuch im Pilgerbüro an. Ich werde registriert, bekomme von der freundlichen Dame meinen ersten echten Stempel in meinen Pilgerausweis und allerlei Infomaterial für meinen Weg nach Santiago. Morgen ist der letzte Tag, an dem auch der berüchtigte knapp 1.100 m hohe Ibañeta-Pass, hoch oben in den Bergen der Pyrenäen noch geöffnet ist, die Route Napoleon. Das Wetter wird jetzt Ende Oktober zu unberechenbar und für die Überquerung zu gefährlich. Schon viele Pilger haben sich da oben verirrt und viele ihr Leben gelassen. Ich freu mich, dass ich noch über den Pass laufen darf.
Am Abend besuche ich dann noch die Pilgermesse in der kleinen Kirche Notre-Dame-du-Boût-du-Pont, stecke meine Kerzen und meine Gedanken zu den anderen. Irgendwie kehrt in mir Ruhe ein. Es wird dunkel, ich gehe in meine Unterkunft, falle in mein feudales Bett und schlafe ziemlich schnell ein.





Die Etappen
24.03. Saint-Jean-Pied-de Port nach Ronchesvalles 27 km
Um sechs Uhr morgens weckt mich ein Toc Toc auf der Straße, das auf meinem Weg ein ständiger Begleiter wird. Unter meinem Zimmerfenster wandert der erste Pilger Richtung Ortsausgang. Sein Pilgerstock klackt im Takt seiner Schritte auf dem Kopfsteinpflaster. Ich packe meinen Rucksack und lasse mich in der großen gemütlichen Küche bei Esteban noch mit Kaffee und Frühstück verwöhnen. Danach geht es auch für mich los.
Durch das Dorf, den Berg hinab hole ich mir zuerst bei der Bäckersfrau meinen Proviant. Meine Füsse folgen wie in Trance, dem Kopfsteinpflaster durch das Dorf, dann über den kleinen Fluss Nive und jetzt wird’s ernst. Die Wegzeichen des Jakobsweges tauchen auf. Die Muschelschale und der gelbe Pfeil, sie werden meine Wegzeiger nach Santiago di Compostela, die nächsten 900 km oder so.
Bald steigt der Weg an, stetig. Habe ich die ersten 2 – 3 km noch keine Zweifel, dass ich das alles schaffen werde sinkt mein Mut schon nach dem nächsten Anstieg, der wieder steiler ist als der vorherige. Kurve – Anstieg – Kurve – Anstieg, so wiederholt sich das. Kilometer um Kilometer, gefühlt Meter um Meter. Meine Oberschenkelmuskeln verkrampfen. Hab ich Magnesiumtabletten dabei? Und war es im Tal noch einigermassen erträglich warm, setzt an der Kreuzung zur Passstraße jetzt auch noch Nieselregen ein. Der erste Einsatz für mein Regencape steht an und während ich versuche mir das flott überzuziehen, überholt mich laut schwatzend eine, im Gegensatz zu mir, quicklebendige Pilgertruppe. Ein Pilger ist tatsächlich mit offenen Wandersandalen ohne Socken unterwegs. Luft- und Kraftlos folge ich der Truppe in meinem Schneckentempo hinterher.
Irgendwann auf ca. 900 Höhenmetern und nach gefühlt tausend Kilometern überquere ich am Bentarte-Pass, die Grenze nach Spanien. Pilger überholen mich ständig und nach jeder Kurve folgt wieder ein neuer Anstieg. Das Nervt. Zwei Hirtenhunde ziehen mit einer Schafherde an mir vorbei, nie habe ich so riesige Glocken an den kleinen Tieren gesehen. Meine Finger sind eingefroren und klamm, Bäume gibts hier keine mehr. Es ist zu hoch, es gibt nur noch grüne Wiesen durch die sich der Weg, soweit das Auge reicht, bergauf schlängelt.
Irgendwann hab auch ich den höchsten Punkt überwunden, der Weg ist durch den Nieselregen komplett aufgeweicht und am geschichtsträchtigen Rolandsbrunnen ist das Schlimmste wohl geschafft. Hier muß ich eine immens große Matschpfütze am rechten Rand umgehen, neben mir geht es steil bergab. Mitten in der Pfütze sehe ich aber die Hacke einer Wandersandale aus dem Schlamm ragen und frage mich, wie der Besitzer hier wohl weitergekommen ist. Der Sandalenträger ist aber weit und breit nicht zu sehen ist, er wird eine Lösung gefunden haben.






So steil wie es vorher bergauf ging, geht es jetzt bergab. Die Wiesen werden rar, herbstlich bunte Laubwälder schützen mich jetzt zumindest ein wenig vor dem immer noch nieselnden kalten Nieselregen. Der Weg ist oft rutschig und steil, nicht immer gut gekennzeichnet und jetzt endlich der erste Mal an diesem Tag hole ich ein paar Pilgerinnen ein. Für den weiteren Abstieg schließe ich mich gerne an, denn es tut gut ein wenig zu reden. Alle sind ziemlich kaputt, meine Beine zittern und sind so kraftlos wie nie. Nach irgendeiner Biegung dann, sehen wir das Ziel des Tages, die Klosteranlage von Roncesvalles. Im Jahr 1132 durch den Bischof von Pamplona gegründet, war ist sie immer schon wichtige Station zur Einkehr für die müden Pilger. Die Anlage ist toll renoviert und trotz der imposanten Größe gut geheizt und kuschelig warm.
Ich bekomme von den netten Gastgebern ein Bett im Schlafsaal zugewiesen um 22.00 Uhr ist Zapfenstreich. Ich genehmige mir eine heiße Dusche und beziehe meine Koje. Danach ein mässig gutes Abendessen. Doch der krönende Abschluss des Tages ist die Pilgermesse in der Iglesia Colegial de Santa María, im Anschluß eine Führung durch die prächtige Kirche, die Katakomben und die Klosteranlage durch einen sehr netten Klosterbruder, der uns die wunderbare Akustik im Königsgrab singend vorführt.



Zurück im Schlafsaal zähle und versorge noch die Blasen an meinen armen Füssen, wie erschlagen falle ich in einen tiefen Schlaf. Buona notte.
Man sagt, der erste Tag auf dem Jakobsweg beginnt wie das Leben: Man wird schmerzlich hinein geboren.
Fortsetzung folgt..
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